Vorrede während der Zugfahrt

Guten Abend, verehrte Fahrgäste, liebe Besucher des Theaterabends am Schafberg!

Die Schafbergbahn bringt uns heute an den Ort eines Geschehens, das 1911, also vor mehr als hundert Jahren, am Gipfel des Schafberges stattgefunden haben soll: zum Versuchsgelände des sogenannten Hödlmoser/Crantz-Versuchs.

Diese schon damals sagenhaften Ereignisse, über die unser Theaterstück Aufschluss zu geben versucht, sind uns leider und nahezu ausschließlich durch Berichte der beiden damaligen Augenzeuginnen Sophie und Klara Breitwieser aus St. Wolfgang bekannt, zufällige Begleiterinnen jenes geheimen Experiments, das im Juni 1911 auf dem Schafberg (unter Aufsicht der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik, also des kaiserlichen Militärs) stattgefunden haben soll.

Materielle Indizien für diese Begebenheit gleichwohl könnten die Reste eines künstlichen Fundaments an der Schafbergspitze sein, im weiteren die mehr als ungewöhnliche Trassenführung des Materialaufzuges an der Endstation, und nicht zuletzt ein Splitter einer „Riesengranate“, der zusammen mit einer Konstruktionsskizze und einem Brief eben jenes Carl Crantz, der diesen haarsträubenden Versuch gewagt und in die Wege geleitet haben soll, im Heeresgeschichtlichen Museum Wien aufbewahrt wird. Das Militär selbst besitzt augenscheinlich keine Aufzeichnungen. Und es ist leider auch keineswegs sicher, ob die genannten „Beweisstücke“ überhaupt dem Hödlmoser/Crantz-Versuch zuzuordnen sind.

Carl Crantz’ und Berthold Hödlmosers Vision basierte auf der (einer utopischen Idee Jules Vernes folgend) Mondfahrt einer Kapsel, die durch eine riesige Kanone abgefeuert wird, und für deren ballistische Stufe Hödlmoser/Crantz das Element der Vorbeschleunigung durch eine Dampfmaschine hinzufügten. Diese »Dampflafette« war das eigentlich Neue eines erprobten Systems und zog das Interesse des Militärs auf sich, weil durch diesen „Kunstgriff“ eine immense Reichweitensteigerung von ballistischen Geschoßen möglich schien. Im wesentlichen muss es sich um einen etwa neun Meter langen Mörser gehandelt haben, eine Art Steilfeuergeschütz mit einem Kaliber von notwendigerweise 84 cm, das auf einer Feldbahnschiene durch ein kompliziertes Seilsystem bis zur Zündung der Treibladung vorbeschleunigt wurde.

Obwohl ursprünglich aus der Wolfgangsee-Region, hatten sich Carl und Berthold erst auf dem Akademischen Gymnasium in Salzburg kennengelernt. Carl Crantz jedoch ging nach Abschluss der Gymnasialzeit nach Wien, um Physik zu studieren, während Berthold Hödlmoser die Schule vorzeitig verließ, um bei der Salzkammergut Lokalbahn AG einzutreten. Im Bewusstsein jedoch, dass die beiden hinsichtlich ihrer Elternhäuser nur wenige Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen waren, sah man sich während der „Ferienzeit“ 1910, also ein knappes Jahr vor dem Schafberg-Versuch auch deshalb täglich, weil Berthold während der   Sommermonate als Lokführer an die Schafbergbahn „abgestellt“ war.

Aus dieser Zeit stammt ein Brief Carl Crantz’ an den Wiener Major Arthur Mühlegger: Verehrter Herr Major! Ich darf Ihnen versichern ... usw. usf. und wo es im weiteren heißt:  Meine verehrte Freundin aus Jugendtagen, Sophie Breitwieser, drängte mich, Ihnen in wenigen Zeilen zu schildern, was unser Vorhaben am Schafberg und wie dies mit den Plänen der kaiserlichen Armee und der Wiener Neustädter Lokomotivfabrik in Einklang zu bringen sei.

Der weitere Inhalt des Briefes ist aufgrund eines Wasserschadens nicht rekonstruierbar, lediglich die Zeile am Weg zum Mond, oder vielleicht aber auch nur am Weg zum Mondsee ist erhalten. Für eine vollständige Klärung sind wir zuletzt, liebe Teilnehmer dieser Fahrt, auch auf Ihre deduktiven Fähigkeiten, Ihre Erfahrung und Kombinationsgabe angewiesen.

Viel Vergnügen auf dieser Reise.